Dieser Komponist kann zaubern
Böblinger Kantorei führte zum dritten Advent Schuberts F-Dur-Messe in der fast ausverkauften Paul-Gerhardt-Kirche auf.
Zum Schönen in der Vorweihnachtszeit gehören die Chorkonzerte. Dieses war besonders schön. Dirigent Eckhart Böhm hatte für den Auftritt seiner Böblinger Kantorei am Sonntag in der Paul-Gerhardt-Kirche ein hoch interessantes und spannungsreiches Programm zusammengestellt.


Artikel und Bild aus der "KREISZEITUNG Böblinger Bote" vom 19.Dez.2012
Von Jan Renz


BÖBLINGEN. Immer wieder gelingen Böhm Ausgrabungen, er setzt Musik aufs Programm, die zu Unrecht vergessen ist. Oft kombiniert er sie mit großen Werken der Musikgeschichte. Dieses Konzert in der Paul- Gerhardt-Kirche verfolgte ein Stück Musikgeschichte: den Weg von der Empfindsamkeit über die Klassik zur Romantik. Das Programm mündete in die früheste Messe Franz Schuberts, eine Kostbarkeit.

Bei diesem Konzert konnte man Entdeckungen machen. Es begann mit ganz unbekannter Musik: einer Kantate des ältesten Bach-Sohnes Wilhelm Friedemann. Dieser Bach war ein Brausekopf, ein schwieriger Charakter und ein eigensinniger Komponist. Seine Kantate „Ach, dass du den Himmel zerrissest“ ist emotionale Ausdrucksmusik, die Flöten säuseln, Joseph Haydn ist näher als Vater Johann Sebastian. Am Ende freilich verbeugt sich Wilhelm Friedemann vor dem Vater – mit einem Bach-Choral. Hier stellten sich schon die vier Gesangssolisten vor. Herausragend: der profunde Bass Bernhard Hartmanns. Das größte Pensum hatte mit ihrem intensiven Sopran Susann Hagel zu bewältigen. Ihnen zur Seite standen Xenia- Maria Mann (Alt) und der in der Region bestens bekannten Tenor Clemens König, die ihre Sache gut machten. Die zweite unbekannte Musik des Abends stammte von Franz Xaver Brixi, eine Meditation für Altsolo: „Quem Pastores videstis?“.

Auch bei Mozart konnte man Entdeckungen machen, bei seinen „Vesperae Solennes de Confessore“ KV 339. Mozarts zweite Vesper, kurz vor dem Abschied aus Salzburg, geschrieben, ist ein herausragendes Kirchenmusikwerk. Diese vertonten Psalmen sind facettenreich: immer kunstvoll und immer berührend, und es ist hörbar immer Mozart. Aber manchmal hebt er ab und übertrifft sich selbst: So etwa im „Laudate Dominum“, es ist unwiderstehliche Zaubermusik für Solosopran.

Einem Teil des Publikums gefiel der Anfang so gut, dass er nach dem ersten Abschnitt klatschte, was den Dirigenten nicht störte, er wandte sich dem Publikum zu: „Wenn es ihnen gefällt, sollen sie machen.“

Von hier zum Hauptwerk des Abends war es gar nicht so weit. Schuberts F-Dur-Messe (D 105), ein Gesellenstück Schuberts, das fast eine Dreiviertel Stunde dauert. Schubert kannte Mozart gut. Die F-Dur-Messe ist ein Jugendwerk Schuberts, er war 17 Jahre alt, als er sie schrieb. Sie war sein erster öffentlicher Erfolg, ja sein Durchbruch, eben hatte er als Hilfslehrer eine Anstellung gefunden. Die Messe wurde in der Lichtentaler Pfarrkirche in der Wiener Vorstadt uraufgeführt, ein ihm vertrauter Ort, denn hier war er getauft worden, hier hatte er als Chorknabe erste kirchenmusikalische Erfahrungen gesammelt.

Freude des Chors an einzigartiger Musik überträgt sich aufs Publikum

Als Sängerknabe der kaiserlichen Hofkapelle waren ihm die späten Haydn-Messe vertraut, sie waren ein Vorbild. „Hinter seiner religiösen Lyrik steht sichtbar die freundliche, optimistische Gottesbetrachtung Haydns“, schrieb der Schubert-Schwärmer Hans Gal. In der F-Dur-Messe finden sich auch Einflüsse seines damaligen Lehrers Antonio Salieris, Schubert tut sich als Kontrapunktiker hervor, eigentlich ist er ein Melodiker. Und gerade die lyrischen Momente in dieser Musik bezaubern.Ganz sachte sang der Chor das schwebende „Kyrie“. Schubert hat noch nicht überall den eigenen Stil gefunden, aber das ist keine Überraschung, bedenkt man sein Alter und den Umfang dieses Werks. Im groß angelangte „Gloria“ gibt es auftrumpfende Gesten und konventionelles Schmettern. Aber dann folgt ein „Credo“, das höher ist als alle Vernunft, eine wunderschöne lyrische Eingebung. Schubert hebt das „Credo“ hervor.

Der große Chor, sichtlich verjüngt, hatte ein riesiges Programm zu bewältigen. Über 100 Minuten musste er stehen und singen. Da konnte es natürlich mal passieren, dass ein Sopran in der Höhe gequetscht klang oder dass bei Taktwechseln das Zusammenspiel wackelte, aber das war selten und schmälerte nicht den Zauber des Abends. Die Kantorei sang ausdrucksvoll und konzentriert. Die Choristen hatten Freude an der einzigartigen Musik, und das teilte sich dem großen Publikum mit. Begleitet wurde die Kantorei wie gewohnt vom Concentus Böblingen, hervorzuheben waren die vielen schönen Holzbläsersoli. Eckhart Böhm war ein umsichtiger Dirigent.

Schubert kann zaubern. Er tut das immer wieder in dieser frühen Messe. Spätestens wird das beim „Agnus Dei“ deutlich. Am Ende des Konzerts in der Paul-Gerhardt- Kirche geschah etwas Ungewöhnliches: Das Publikum schwieg nicht andächtig, sondern klatschte rhythmisch. Weil es so schöne Musik ist, wurde das „Dona nobis pacem“ als Zugabe wiederholt.